Gute Nachrichten für alle Liebhaber seltener Manuskripte! Zum ersten Mal in der Geschichte hat die Abteilung für Manuskripte der Bibliothèque nationale de France (Bnf) in Zusammenarbeit mit dem Institut für moderne Literatur der Universität von 
Grenoble der Öffentlichkeit eine Faksimil-Reproduktion zugänglich gemacht. Das Besondere dieses Manuskripts liegt darin, dass Marcel Proust mit diesem Manuskript viel mehr als alltägliche Aufzeichnungen hinterlassen hat. Es handelt sich hierbei eher um einen signifikanten Schlüssel, um sein berühmtestes Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, verstehen zu können.
Neben den digitalisierten Folios, durch welche die Kaligrafie des Autors bewundert werden kann, beinhaltet das Projekt außerdem eine wörtliche Transkription der Aufzeichnungen, sowie kritische Anmerkungen durch Proust-Experten (auf Französisch). Auf diese Weise ist ein Eintauchen in die Welt und das Leben des Autors möglich, der seine Gedanken in seinen Romanen stets auf eine anmutige Art und Weise auszudrücken verstand. Der Inhalt seiner Aufzeichnungen ist vielfältig und gibt Hinweise auf Elemente, die er später in seinem Meisterwerk wieder aufnehmen würde.
Es sind vor allem Namen von Personen, die Proust im Laufe seines Lebens gekannt hat und die sich später unter den über 200 namentlich erwähnten Figuren in seinem Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit wieder finden lassen. Der Erzähler in diesem Roman ist das Alter-Ego von Proust und wenn es einen Autor gibt, dessen Werk durch und durch autobiografisch ist, dann ist es Marcel Proust, der auch ein Jahrhundert nach der Entstehung seines Meisterwerks zu dem Verständnis der französischen Gesellschaft und der Dekadenz bestimmter Gesellschaftssektoren dieser Epoche beiträgt.
Das Büchlein ist somit vielmehr als eine Art Tagebuch, da es ein direkter Zeitzeuge der Entstehung des Mikrokosmos ist, den Proust in seinen Werken ausgeführt und dargestellt hat. 1871 in Frankreich geboren, wuchs Proust als schwächliches und kränkliches Kind in einer kulturell sehr bewanderten Familie auf. Seine wahre Berufung lag in der Philosophie und der Sprache. Die Liebe, die Kunst, die verschiedenen Gruppen von Gesellschaft in denen sich der Autor bewegte und vor allem Zeit und Erinnerungen stellten seine größten Obsessionen dar. Wenn man sich vor Augen führt, wie wichtig für Proust Erinnerungen waren, kann man sich leicht denken, welchen überaus großen Wert dieses Heft für ihn gehabt haben musste.
Dieses Manuskript wird in seiner digitalisierten Form nicht nach seiner materiellen Ordnung dargestellt, sondern orientieren sich die Seiten an verschiedenen Zeitachsen in welchen der Autor seine Aufzeichnungen machte: im Frühling, im Sommer und im Herbst 1909; der Frühling und der Sommer 1913 und ein paar Seiten mit ungewisser Datierung.
Die Ausführungen der kritischen Ausgabe sind erheblich und faszinierend zugleich. Sie fungieren dabei als eine Art Mediator zwischen dem Manuskript und den Lesern, da sie eine Sammlung von Quellen und Hilfsmittel beherbern, damit der Leser durch jene Links zu einem detaillierten Verständnis des Werks gelangt. Diese Links führen einen nach Gallica (der online-Katalog der digitalisierten Bücher der BnF) oder auf externe Webseiten, wo mehr Informationen über die im Werk beschriebenen Orte oder Figuren bereitstehen. Das Projekt beinhaltet außerdem sehr informative Fotografien: Karten, Porträts von Figuren die der Autor in seiner Agenda nennt und Momentaufnahmen aus Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts die einen in die unmittelbare Welt Prousts versetzen.
Das Manuskript kann auf der Webseite der BnF als PDF oder EPub heruntergeladen werden. Es ist die erste komplette Edition eines Manuskripts aus den Händen eines Autografen wie Marcel Proust womit die Bibliothèque nationale de France ihren Prestige zeigt und einen ihrer größten Universalautoren würdigt. Darüber hinaus kann dieses Projekt als ein Beitrag zu der Demokratisierung von Kultur angesehen werden, da jeder der mag durch einen Mausklick Zugang zu der persönlichen Welt von Marcel Proust erhalten kann.