Die Anfänge des Buchhandels im Mittelalter

Wenn man sich den Prozess der Buchherstellung im Mittelalter vorstellt, hat man sofort den Mönch im Skriptorium im Kopf, der über Monate hinweg emsig Manuskripte herstellt, eins prächtiger als das andere. Das Spätmittelalter brachte jedoch eine Veränderung, eine regelrechte Revolution in der Buchherstellung mit sich – ausgelöst durch das Entstehen von Universitäten und das Aufblühen der Wissenschaften. Studenten brauchten Lehrbücher für ihre Studien – und so entstand eine enorme Nachfrage, die nach einem System der Massenherstellung von Büchern in einer Zeit verlangte, als vom Buchdruck noch nicht zu träumen war.

HAND IN HAND: UNIVERSITÄTEN UND BÜCHER

Mediziner an der Universität Paris (BnF, Français 1537, fol. 27v)

Mediziner an der Universität Paris (BnF, Français 1537, fol. 27v)

Dieser Artikel konzentriert sich hauptsächlich auf die Anfänge des Buchhandels in Paris, da der Handel mit Manuskripten hier durch die Sorbonne, die größte Universität des Mittelalters, am ausgeprägtesten war.

Die Universität in Paris bestand aus vier Fakultäten: Theologie, Medizin, Recht und artes liberales. Ein Student an der Fakultät der Künste in Paris benötigte zum Beispiel Priscians lateinische Grammatik und Werke von Aristoteles wie Metaphysik und De Anima. Auf der Bücherliste für Medizin-Studenten standen Werke wie Constantinus Africanus’ Ars Medicinae und das Nikolaus von Salerno zugeschriebene Antidotarium. Es handelte sich dabei oft um massive Bücher mit hunderten von Seiten. Wie also war es möglich, dass solch umfangreiche Werke in relativ kurzer Zeit und zu günstigen Preisen vervielfältigt werden konnten?

DAS PECIA-SYSTEM

Hier kommt das pecia-System ins Spiel, das in italienischen Universitäten entwickelt und schnell als Standard-Prozedur in Paris übernommen wurde. Es gab im mittelalterlichen Paris zwei Arten von Buchhändlern, librarius und stationarius. Librarius war eine allgemeine Bezeichnung für Buchhändler, der Begriff stationarius bezeichnete einen Buchhändler, der sogenannte peciae zur Vervielfältigung an Schreiber auslieh. Stationarii besaßen speziell angefertigte Exemplare von Lehrbüchern, die in ungebundener Form vorlagen, sodass Einheiten (peciae) von geringer Seitenzahl entnommen und zur Vervielfältigung an Schreiber weitergegeben werden konnten. Weil die Manuskripte in viele kleinere Einheiten unterteilt waren, die separat ausgeliehen wurden, konnte ein Manuskript gleichzeitig von mehreren Schreibern kopiert werden. Christopher de Hamel nennt in “A History of Illuminated Manuscripts” folgendes Beispiel: Ein Berufsschreiber braucht etwa sechs Monate, um eine Handschrift bestehend aus 312 Seiten einmal zu reproduzieren. (De Hamel rechnet hier mit zwölf Seiten pro Woche.) Mithilfe des pecia-Systems, also der Unterteilung des Manuskripts in Einheiten von z.B. zwölf Seiten, konnten in derselben Zeit bis zu 26 Exemplare der Handschrift entstehen. Wenn ein Schreiber mit einer Einheit fertig war, brachte er sie zurück zum stationarius, sodass sie von einem anderen Schreiber ausgeliehen werden konnte, und lieh sich die nächste pecia aus. Oft waren diese Schreiber Studenten, die entweder Bücher für den eigenen Gebrauch herstellten oder aber für den stationarius arbeiteten und so ein wenig Geld nebenbei verdienen konnten.

Pecia-Kennzeichnung (British Library, Arundel 480, f. 7v).

Pecia-Kennzeichnung (British Library, Arundel 480, f. 7v).

BUCHHÄNDLER IN PARIS

Paris war die erste Stadt, in der ein größerer Manuskripthandel entstand. Im Paris Anfang des 14. Jahrhunderts gab es in etwa 30 Buchhändler, die Hälfte von ihnen hatten ihre Stände oder Läden rund um die rue St. Jacques im Universitätsviertel, die andere Hälfte auf der Île de la Cité gegenüber der Notre-Dame. Buchhändler hatten zu dieser Zeit in Paris eine Monopolstellung inne, denn Bücher durften nur von den librarii und stationarii verkauft werden. Neben den mithilfe des pecia-Systems hergestellten Manuskripten gab es auch Second-Hand-Bücher zu kaufen.

Die Buchhändler in Paris standen fast alle unter der Kontrolle der Universität, was sie mit einem Treueid besiegeln mussten. Dieser hatte sowohl Vorteile als auch Nachteile: Einerseits wurden die Preise der peciae von der Universität reguliert und die Vorschriften bestimmten, dass die Buchhändler nur sehr wenig Profit mit dem Verkauf von Büchern aus zweiter Hand machen durften. Andererseits bestand der Vorteil, dass universitäre Buchhandlungen von der Steuer ausgeschlossen waren, die König Philipp IV. von Frankreich auf alle Waren verhängt hatte. Zudem schadete es dem Geschäft nicht, offiziell anerkannt von der Universität zu sein.

Mit der Erfindung des Buchdrucks änderten sich die Bedingungen für den Buchhandel natürlich drastisch und das pecia-System wurde langsam verdrängt – was bleibt, ist ein faszinierender Einblick in die Anfänge des Buchhandels und den ersten Schritt der Buchherstellung in das Zeitalter der Massenproduktion.

 

Bibliographie: 

De Hamel, Christopher (1994): A History of Illuminated Manuscripts. Phaidon. London/New York.

Wolf, Norbert (2014): Buchmalerei verstehen. Primus Verlag. Darmstadt.