Auf der Suche nach Frauen in der Buchkunst des Mittelalters

Jean Fouquet, Pacino di Bonaguida, Simon Bening – es sind uns unzählige männliche Namen aus der mittelalterlichen Buchkunst überliefert und auch das Sortiment von Müller und Schindler weist hauptsächlich männliche Künstler auf. Wir stellen uns daher die Frage: Inwiefern waren eigentlich Frauen an der Manuskriptproduktion des Mittelalters beteiligt?

Die Suche nach mittelalterlichen Künstlerinnen des Mittelalters hängt letztendlich von signierten Werken ab. Doch Signaturen waren im Mittelalter nicht immer gängige Praxis, und eine Signatur musste nicht unbedingt auf den Künstler eines Werkes verweisen, sondern konnte genauso gut den Auftraggeber eines Werkes bezeichnen.

Ein guter Ausgangspunkt für die Suche nach Frauen in der Geschichte der Buchmalerei sind Frauenklöster, die, genau wie ihre männlichen Äquivalente, wichtige Zentren der Manuskript-Herstellung darstellten.

Eine der frühesten, uns heute bekannten Klosterwerkstätten ist die der Caesaria von Arles, die im 6. Jahrhundert Bücher abschrieb und auch ihre Nonnen das Schreiben lehrte.

Hildegard von Bingen in "Scivias", 1151/52

Hildegard von Bingen in “Scivias”, 1151/52

Unter den frühesten überlieferten Handschriften, die Frauen zugeschrieben werden können, ist eine Sammlung von 13 Codices, die im 8./ 9. Jahrhundert in Chelles, im Kloster von Gisela, der Schwester von Karl des Großen, entstanden sind. Eine dieser Handschriften weist die Signaturen von allen zehn am Werk beteiligten Schreibern, allesamt Frauen, auf und zeugt von großem kalligraphischem Können.

Die frühesten überlieferten Illustrationen, die von einer Frau angefertigt wurden, lassen sich im Beatus von Girona (Kathedrale von Girona, MS7) finden, dessen Kolophon die geheimnisvolle Nonne Ende als eine der Illuminatoren ausweist.

Es gab ebenfalls einige Nonnen, die nicht nur für ihr eigenes Haus Manuskripte anfertigten, sondern auch für andere Klöster, wie zum Beispiel im 10. Jahrhundert die spanische Nonne Londegonda oder im 11. Jahrhundert die deutsche Nonne Diemud von Wessobrunn, die zwischen 1075 und 1130 um die 45 Manuskripte produzierte.

Herrad von Landsberg in "Hortus deliciarum", ca. 1180

Herrad von Landsberg in “Hortus deliciarum”, ca. 1180

Bekanntere Namen sind die der Äbtinnen Hildegard von Bingen und Herrad von Landsberg, die im 12. Jahrhundert die Werke Scivias und Hortus Deliciarum schufen. Hildegard von Bingens Scivias beschreibt, interpretiert und illustriert 35 ihrer komplexen, machtvollen Visionen; Herrad von Landsbergs bebildertes Werk Hortus Deliciarum ist die erste von einer Frau verfasste Enzyklopädie und fasst sämtliches zu der Zeit bekanntes theologisches und profanes Wissen zusammen. Auch wenn sie ihre Werke nicht selbst illustrierten, so waren sie doch wesentlich an der visuellen Konzeption der Handschriften beteiligt.

Ein weiterer bekannter Name ist Christine de Pizan (1364-1431), die ihre “Hundert Bilder der Weisheit” (Othea-Briefe) zwar auch nicht selbst illustrierte, von der jedoch bekannt ist, dass sie bestimmte, welche Motive abgebildet werden sollten, und die Illustratoren streng überwachte. Hildegard, Herrad und Christine hatten so nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Bilder, die ihre jeweiligen Epochen prägten und kristallieren sich als kreative Visionärinnen heraus.

Detail aus Pizans "Hundert Bilder der Weisheit"

Detail aus Pizans “Hundert Bilder der Weisheit”

Später, als die Klöster ihre Monopolstellung in der Manuskriptproduktion verloren, geben Mitgliederlisten von Gilden und Zünften wertvolle Informationen über die Beteiligung von Frauen am Manuskripthandwerk. Auch wenn diese Register zeigen, dass Frauen der Zutritt in diese Berufe nicht per se verwehrt war, so waren sie doch entscheidend in der Unterzahl. Generell waren Frauen eher als Schreiberinnen als als Buchmalerinnen tätig. Die Liste der Pariser Gilde der (Buch-)Maler und Bildhauer zum Beispiel zeigt, dass um 1300 nur zehn der 229 Mitglieder Frauen waren. In Brügge im Jahr 1480 dagegen sind überraschende 25% der Gilde der (Buch-)Maler Frauen. Die meisten dieser Frauen fanden ihren Weg in die Buchkunst über Väter oder Ehemänner, die den gleichen Beruf ausübten. Auch die zunehmende Urbanisierung brachte mehr Möglichkeiten für Frauen in der Buchmalerei mit sich.

Mit der Erfindung des Buchdrucks jedoch ging die Beteiligung von Frauen in der Buchherstellung stark zurück. Handwerke wie Holzschnittherstellung schienen Frauen verwehrt zu sein. Dieser immense technische Fortschritt für das gesamte Abendland bedeutete unglücklicherweise einen Rückschritt für Frauen in der Buchkunst.